Geleitwort

Günter Reinhold: Zum Geleit

Schon hatte man nicht mehr so recht daran geglaubt, dass Peter Feuchtwangers pianistische Übungen einmal in eine Form gebracht werden könnten, die sie einem größeren Kreis von Interessierten zugänglich machen würden. Jahre und Jahrzehnte wurde darüber nachgedacht und diskutiert, in welcher Art und Weise dies geschehen könne. Waren es bisher nur Feuchtwanger selbst und eigens dafür ausgewählte Studenten, die die Übungen weitergaben, so ergibt sich jetzt durch moderne Techniken - die Nutzung von Druck und Videoaufzeichnung - die Möglichkeit einer Vermittlung auch an Außenstehende, denen damit ein Zugang zu dem immensen Nutzen dieser Übungen eröffnet wird.

So werden viele diese Publikation begrüßen.

Der hier vorgestellte Teil seiner Übungen entstand aus Feuchtwangers ungewöhnlicher Einfühlung in homogene Bewegungsabläufe. Sie gehen über eine Anleitung, das Klavierspiel zu erlernen, weit hinaus. Die Übungen verfolgen zwei Ziele:

- sie schaffen für „gesunde“ Pianisten eine Basis für überaus sinnvolle und organische Bewegungsabläufe, sind sozusagen ein pianistisches Propädeutikum.

- sie haben einer sehr großen Anzahl von Pianisten mit Spielstörungen, zum Teil gravierendster Art, die Natürlichkeit der Bewegungsabläufe entweder wiedergegeben oder überhaupt erst eröffnet.

Summa summarum stellen sie die Basis der pianistischen Bewegungslehre Feuchtwangers dar. Sie verdanken ihr Dasein seinem untrüglichen Sinn für einen sinnvollen und „abnutzungsfreien“ Umgang mit dem Klavier. Dies meint sowohl den Körper als auch das Instrument.

Den unzähligen Pianisten, die von Feuchtwanger direkt profitieren durften und dürfen, sage ich damit nichts Neues. Seine Lehre wurzelt in einer Pianistik, die sich auf die Größten dieses Faches bezieht; solche, die er noch kannte, Clara Haskil, Edwin Fischer, Alfred Cortot, aber auch solche, deren Spiel in frühen Tonaufnahmen diese gleiche Art des Umgangs mit dem Klavier erkennen lassen, wie beispielsweise Ignaz Friedman. Letztendlich beruht alles auf einer pianistischen Ästhetik, wie Frédéric Chopin sie besaß; zahlreiche Beschreibungen von dessen Spiel, seiner Lehre und auch die von ihm in seinem „Projekt einer Methode“ (1) niedergelegten Ansichten stehen dafür Pate. Die Geschmeidigkeit der Bewegungsabläufe, das von Chopins Unterricht berichtete „facilement, facilement!“ könnte auch von Feuchtwanger stammen. Die dabei angestrebte Mühelosigkeit, die in zahlreichen Beschreibungen von Chopins Spiel zu finden ist, setzt sie in Beziehung zu der in Herrigels Zen in der Kunst des Bogenschießens (2) beschriebenen Absichtslosigkeit, einem von Feuchtwanger häufig angesprochenen Thema. - „Wenn ich einen guten Tag habe, so habe ich den Eindruck, dass nicht ich spiele, sondern dass ES spielt“. Die Edwin Fischer zugeschriebene Aussage gehört ebenfalls in diesen Bereich.

Die Tatsache, dass beide – Chopin und Feuchtwanger – diese Art des Umgangs mit dem Klavier so gut wie autodidaktisch erfühlten und entwickelten, ist ein weiteres Indiz für deren Gemeinsamkeit. Was überdies Jan Kleczinski mitteilt, der nach Befragung einer großen Anzahl von Schülern Chopins dessen Art zu spielen und zu lehren beschrieb, deckt sich mit Feuchtwangers Ansätzen völlig: „Er (Chopin) schulte die Hand mit einer unendlichen Sorgfalt, bevor er ihr die Reproduktion musikalischer Ideen übertrug. Um die Hand in eine Position zu bringen, die ebenso vorteilhaft wie anmutig war, warf er sie mühelos auf die Tastatur“ - Und dann gibt es da noch einen ganz wesentlichen Punkt der Übereinstimmung: das Vorbild des italienischen Belcanto und dessen Übertragung auf den Klavierklang.

Die durch Feuchtwangers Übungen geschaffenen Voraussetzungen bereiten die Hand auch für die Ausführung seiner speziellen Fingersatznahme vor; Fingersätze, die kein Selbstzweck sind, sondern bei denen Bewegungsabläufe angestrebt werden, die nicht nur völlig natürlich sind, sondern die kongruent und kompatibel zum musikalischen Duktus sind. Die von Kleczynski kommentierten Fingersätze Chopins sind denen Feuchtwangers verwandt; so könnte folgende Aussage ebensogut auf ihn gemünzt sein: „Von daher erklären sich auch seine Fingersätze, die so völlig originell sind, dass sie die alten Pianisten schockierten, und die das Ziel hatten, der Hand immer die gleiche Form zu erhalten.“ (3)

Alle die mit Feuchtwanger selbst gearbeitet und seinen Ansatz wirklich verstanden haben, wurden in ihrem pianistischen Leben davon geprägt. Es ist dieser Publikation nicht nur der Erfolg einer weiten Verbreitung zu wünschen; mehr noch die Erkenntnis, sie schaffe die Voraussetzungen für „die wahre Art, das Klavier zu spielen“.

(1) Frédérc Chopin: Esquisses pour une méthode de piano, herausgegeben von Jean-Jacques Eigeldinger, Flammarion 1993
(2) Eugen Herrigel, Zen in der Kunst des Bogenschießens, Konstanz 1948
(3) Jan Kleczynski Frédéric Chopin. De l’interprétation de ses œuvres. Paris 1880, SS. 36 und 42. Über Chopins Fingersätze: Jean-Jacques Eigeldinger Chopin vu par ses élèves Neuchâtel 1988, S. 173 ff. und passim.

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