Der Zen-Meister des Klavierspiels

Der Londoner Klavierpädagoge Peter Feuchtwanger

Von Heiner Klug

Klaviervirtuosen besitzen häufig die Aura von unantastbaren Genies. Aber gerade im Olymp des Klavierspiels herrschen keineswegs immer paradiesische Zustände. Denn künstlerische Virtuosität berührt alle Dimensionen des Menschen und muss hart erarbeitet und gepflegt werden. Wenn man fragt, wo Meisterpianisten Unterstützung bekommen können, dann fällt immer wieder ein Name: Peter Feuchtwanger. Martha Argerich, Shura Cherkassky, Dinorah Varsi und David Helfgott, um nur einige zu nennen, haben mit ihm gearbeitet — und viele andere.

Wir sprachen mit Peter Feuchtwanger am Rande seines Meisterkurses im Bonner Augustinum. Die Beschäftigung mit seiner teilweise ungewöhnlichen Arbeitsweise eröffnet auch Einblicke in Defizite unseres musikalischen Ausbildungssystems.

Peter Feuchtwanger entstammt der Familie des berühmten Schriftstellers Lion Feuchtwanger. Er wurde in München geboren und wuchs nach der Emigration seiner Familie, die kurz vor dem Zweiten Weltkrieg unvermeidbar wurde, in Israel auf. Mit der Schule konnte er sich nur wenig anfreunden, er war ein schlechter Schüler. Daher erhielt er auch keinen Klavierunterricht. Irgendwann fing er an, die Schule zu schwänzen, indem er Krankmeldungen mit der Unterschrift seines Vaters fälschte.

Seine Vormittage verbrachte er dann heimlich bei einer Nachbarin, die ebenfalls aus München emigriert war und noch über ein Klavier verfügte. Schallplatten waren im Hause Feuchtwanger keine Mangelware, seine Eltern hatten eine große Sammlung an u.a. Opern- und Klavieraufnahmen: "Wir hatten alle Chopin-Etüden in den Aufnahmen mit Alfred Cortot und mit Wilhelm Backhaus und die Beethoven-Sonaten in der Version von Arthur Schnabel, Liszt-Etüden mit Simon Barere und einigen Liszt-Schülern: Frederic Lamond, Eugene d'Albert usw.", erinnert sich Feuchtwanger heute.
Auf dem Klavier der Nachbarin spielte der Zwölfjährige dann Stücke, die er von den Schallplatten kannte, ohne jemals eine Klavierstunde gehabt zu haben. Allerdings lernte er alle Werke in der falschen Tonart, denn die Grammophone, die ihm zur Verfügung standen, liefen etwas zu schnell: "So lernte ich die Chopin-Etüden, die erste in Cis-dur, die zweite in B-Moll, und so weiter, alles falsch."

Als sein Vater dann eines Tages zufällig den Direktor der Schule traf, flog das Schuleschwänzen schließlich auf. Peter Feuchtwanger wurde der Schule verwiesen — und er musste seinen Eltern erklären, wo er sich die ganze Zeit aufgehalten hatte. Der Rest ist die Geschichte eines Wunderkinds.
Die Nachbarin lud die Eltern ein, dass Peter ihnen vorspielen konnte, und diese waren natürlich beeindruckt von seinen Fähigkeiten.

Der erste Klavierunterricht, der ihm nun doch zugestanden wurde, war allerdings ein Fiasko. Peter spielte dem Klavierlehrer "La Leggierezza" von Franz Liszt vor; allerdings, weil er sie nie anders gehört hatte, in fis-Moll. Den daran anschließenden Blattspiel-Test konnte er nicht bestehen, da er ja noch nie eine Partitur gesehen hatte: Der Lehrer stellte einen Beethoven-Band auf das Klavier, und Peter sollte spielen, musste aber raten, um welche Stücke es sich wohl handelte. Er tippte auf die langsamen Sätze aus der "Mondscheinsonate", "Pathetique" und "Appassionata", welche er daraufhin "vom Blatt" spielte. Allerdings merkte der Lehrer schnell, dass der Junge mit den Noten nichts anfangen konnte. Feuchtwanger erinnert sich noch heute an die Worte des Lehrers: "Er sagte: 'Erstens spielst du die falsche Sonate, zweitens in der falschen Tonart, und drittens hast du nie auf die Noten geschaut.' Da musste ich errötend zugeben, dass ich keine Noten lesen konnte. Dann sagte der Lehrer: 'Und im Übrigen, "La Leggierezza" steht in f-Moll, nicht in fis-Moll!' Er spielte mir den Anfang vor, allerdings nicht sehr gut. Ich habe das dann sofort auch in f-Moll spielen können."

Als der Lehrer daraufhin versuchte, Feuchtwangers bereits bestens funktionierende Technik umzustellen, beschloss der 13-Jährige, dass dies seine erste und letzte Klavierstunde bei diesem Lehrer bleiben sollte. Bis heute wird Peter Feuchtwanger nicht müde, seinen Schülern die technischen Vorstellungen seines ersten Klavierlehrers als abschreckendes Beispiel zu zitieren: "Du musst denken, du hast einen Apfel in der Hand, und die Finger sind kleine Hämmerchen."

Die Lehrer, bei denen Feuchtwanger daraufhin Unterricht hatte, erkannten allerdings, dass er mit seinem autodidaktischen Zugang und seinem gerade nicht hämmernden Anschlag (wobei dieses deutsche Wort geradezu das Missverständnis heraufbeschwört — man vergleiche die Ausdrücke z. B. in den romanischen Sprachen "toucher", "tocar" usw.) eine völlig natürliche Technik entwickelt hatte. Sie versuchten deshalb auch nicht, ihn umzuerziehen. Folglich musste sich Feuchtwanger mit technischen Fragen des Klavierspiels für längere Zeit nicht mehr auseinander setzen.

In seinen Unterrichtsstunden bei Max Egger, Edwin Fischer und Walter Gieseking ging es verständlicherweise um andere Dinge. Auch seine ersten Erfahrungen als Pädagoge u.a. mit Martha Argerich spielten sich auf einer rein künstlerischen Ebene ab. Dass Peter Feuchtwanger im Anschluss an seine Arbeit mit Argerich zu einem sehr gefragten Lehrer wurde, kann nicht verwundern, denn Martha Argerich gewann nach ihrem Studienaufenthalt bei Peter Feuchtwanger den Chopin-Wettbewerb in Warschau.

In der für ihn typischen Bescheidenheit betont Feuchtwanger zwar, dass es sich damals ja noch nicht um richtigen Unterricht gehandelt habe, eher um eine Art Vorspielen unter Kollegen, und dass Martha Argerich eine so gute Musikerin sei, dass sie ihn natürlich überhaupt nicht gebraucht hätte. Auch Geld wollte er mit Unterricht ursprünglich nicht verdienen. Allerdings entdeckte er zunehmend seine pädagogischen Fähigkeiten und gewann Spaß am Unterrichten.

Auch Shura Cherkassky wurde dann regelmäßiger Gast. Dieser arbeitete mit Feuchtwanger über Jahrzehnte seine Konzertprogramme aus. Sogar die Bild-Zeitung interessierte sich zwischenzeitlich für Feuchtwanger, in Verbindung mit dem erfolgreichen Kinofilm "Shine" über seinen Schüler David Helfgott. Bis heute hat Feuchtwanger auch viele, wie er sagt, "Geheimschüler". Das sind berühmte Pianisten, die nicht möchten, dass öffentlich bekannt wird, dass sie noch studieren oder sich helfen lassen.

Auch die Tatsache, dass Peter Feuchtwanger schon sehr früh Juror in internationalen Klavierwettbewerben wurde, trug ihm viele sehr gute Schüler zu. Bei seinem ersten Wettbewerb in Montreal war er gerade 26 Jahre alt, jünger als der älteste Wettbewerbsteilnehmer.

Je weiter aber Feuchtwangers Ruf als Lehrer trug, desto mehr mittelmäßige Pianisten erschienen bei ihm und wollten ebenfalls Unterricht nehmen. Zunächst schickte er sie wieder nach Hause. Feuchtwanger erinnert sich: "Denen habe ich gesagt, geht mal üben und kommt dann wieder. Als sie dann wieder kamen, war es aber nicht besser. Dann habe ich angefangen, mir darüber Gedanken zu machen, wie ich das damals als Kind ganz natürlich gemacht habe, und wie das eine Haskil oder eine Argerich macht."

Dies war der Anstoß, seine technischen Übungen zu entwickeln, die er seit längerem lehrt und die in Verbindung mit einem Buch demnächst auf Video erscheinen werden. Auffällig sind dabei flexible Fingersätze mit häufigen Wechseln und einem besonders intensiven Einsatz des Daumens. Sie erscheinen aus dem Blickwinkel der traditionellen Fingersatzlehre zunächst abenteuerlich. Aber die Tatsache, dass Feuchtwanger Autodidakt ist, sorgt gerade hier für eine große Bereicherung: So kann er all jenen Schülern weiterhelfen, die ihre Spielweise und Fingertechnik möglicherweise starr von ihren Lehrern übernommen haben und erst jetzt feststellen, dass sie für sie selbst nicht geeignet sind. Feuchtwanger ersetzt aber Dogmen, gegen die er sich wendet, nicht einfach durch neue. Statt dessen spielen in seiner Lehre Begriffe wie Freiheit und Flexibilität beim Spiel eine große Rolle.

Dabei steht das scheinbar vordergründige Thema Fingersatz in einem zutiefst musikalischen Zusammenhang: Die Notwendigkeit, Stücke so sicher wie möglich zu beherrschen, wenn man das Podium betritt, führt für ihn zu der unverzichtbaren Forderung, sich keinesfalls auf das sehr störungsanfällige motorische Gedächtnis zu verlassen. Ein einfacher Test zeigt ihm, ob ein Stück wirklich ganzheitlich oder nur motorisch beherrscht wird: Indem man in einer anderen Tonart spielt, oder alles mit einem Finger, oder mit vertauschten Händen (überkreuz), wird das motorische Gedächtnis ausgeschaltet. Als Beispiel für eine gute Möglichkeit, den Test mit einem Finger durchzuführen, nennt er den Beginn der zweiten Variation aus dem langsamen Satz von Beethovens Sonate Op. 109. Da keine Töne gleichzeitig angeschlagen werden müssen, ist diese Stelle gut mit einem Finger spielbar. "Und wenn Sie das können, dann kommen auch keine Gedächtnislücken mehr. Weil man nicht mehr darauf angewiesen ist. Man kann einen Fingersatz wählen, welcher der ideale Fingersatz ist, aber man darf nicht darauf angewiesen sein. Denn wenn das Fingergedächtnis uns plötzlich im Stich lässt, dann ist es aus."

In ähnlicher Weise dient das Transponieren dazu, die Klangvorstellungskraft zu schärfen und das motorische Gedächtnis zu überlisten, da auf der Klaviatur durch die Anordnung der schwarzen und weißen Tasten immer neue Bewegungsnuancen erforderlich sind, die musikalisch-geistigen Prozesse aber unverändert bleiben — und dadurch besonders trainiert und unabhängig werden. Die Folge ist eine flexible, ganzheitliche und auf musikalische Strukturen sich gründende Technik. Sie ist besonders dazu geeignet, schwierige Stellen zu bewältigen, denn jede Stabilität braucht Flexibilität, das ist eine Grundregel der Natur, über die sich niemand hinwegsetzen kann. Viele Pianisten, die ihre Stücke stereotyp lernen, stoßen nämlich gerade dadurch an ihre Leistungsgrenze, dass die Motorik bzw. das motorische Gedächtnis übermäßig strapaziert wird. Feuchtwanger betont deshalb: "Die Musik muss so stark im Kopf sein! Eine Schülerin kam mit den Abegg-Varationen von Schumann zu mir, die dritte Variation ist wirklich schwer. Ich habe ihr geraten, die Variation jeden Tag in einer anderen Tonart zu spielen, und in der nächsten Stunde klappte alles wunderbar." Und er ergänzt: "Das muss man von Anfang an mit den Schülern machen, das Transponieren. Das ist so wichtig! Wenn das Gehör beim Lernen eine angessene Rolle spielt, dürfte das übrigens kein Problem sein."
Lernen eine angemessene Rolle spielt, dürfte das übrigens kein Problem sein."

Künstlerisches Vorbild und wichtigster Einfluss auf Peter Feuchtwanger war Clara Haskil. Ebenfalls eine Naturbegabung, hatte sie neben einer riesigen Hand, die mit Zeigefinger und Kleinem Finger eine Duodezime greifen konnte, ebenfalls eine sehr flexible Technik. Feuchtwanger berichtet von einem Erlebnis mit Clara Haskil nach einem Mozart-Klavierkonzert, bei dem sie eine ihm unbekannte Kadenz spielte: "Ich habe sie nach dem Konzert gefragt: 'Clara, was war denn das für eine herrliche Kadenz?' 'Ach die war doch furchtbar,' antwortete sie in ihrer typischen selbstkritischen Art, 'das habe ich improvisiert, das war doch schrecklich.'". Ein paar Wochen später besuchte Feuchtwanger sie vor einem Konzert und fragte, ob sie die selbe Kadenz wieder spiele. "Ich habe keine Ahnung, was ich da gemacht habe, ich spiele eine neue. Hoffentlich wird’s diesmal besser."

Bei solcher Flexibilität ist es auch nicht verwunderlich, dass, wer Clara Haskil nach einem Fingersatz an einer bestimmten Stelle fragte, nur die lapidare Auskunft bekam: "Was gerade kommt." Entsprechend war Alfred Cortot, wie sich Feuchtwanger ebenfalls erinnert, vollauf damit zufrieden, wenn Clara Haskil im Gegensatz zu seinen anderen Schülern nur eine Stunde pro Tag übte. "Haskil hatte ein unglaubliches Gehör. Sie hat "Feux Follets", eine der schwersten Liszt-Etüden, von Vlado Perlemuter in einem Privatkonzert gehört. Zwei Tage später spielte sie sie als Zugabe. Und als man sie nach dem Konzert bat, einmal in die Noten sehen zu dürfen, erwiderte sie: 'Ich habe sie nie gesehen!'"

Obwohl es sich bei Clara Haskil um eine Jahrhundertbegabung handelte, steht für den Pädagogen Peter Feuchtwanger fest, dass ihre Virtuosität - wenn auch wohl kaum erreichbares - Vorbild sein muss für jeden anspruchsvollen Klavierunterricht.

Musikalische Vorstellungs- bzw. Gestaltungskraft und flexible Technik sind für ihn zwei Seiten derselben Medaille, und entsprechend nicht zu trennen. Feuchtwanger empfiehlt beispielsweise als erste bescheidene Kostprobe seines Arbeitsstils, einmal den Anfang von "Für Elise" mit einem ungewöhnlichen Fingersatz zu versuchen: "Was ich heute unterrichte, ist genau das, was ich als Kind ganz natürlich gemacht habe. Weil mir niemand gesagt hat, wie man die Finger setzt, habe ich einen freien Fingersatz entwickelt. Nehmen sie zum Beispiel Für Elise, das habe ich zwar nie gespielt, aber versuchen Sie den Anfang einmal nicht mit zwei Fingern, sondern mit 1-2-4-3-5. Das ist wie spazieren gehen und ergibt eine vollkommene Lockerheit." Um diese Lockerheit zu erreichen, legt er bei seinen Schülern auch Wert auf eine ruhige und stabile Sitzposition, die alle überflüssigen Bewegungen und Anspannungen vermeidet. Als Vorbilder nennt er hier neben Clara Haskil Wladimir Horowitz und Alfred Cortot, aber auch die Jazz-Pianisten Fats Waller und Art Tatum.

Dass Peter Feuchtwanger seine eigene Pianistenkarriere früh beendet hat, ist aus heutiger Sicht ein Glücksfall für seine vielen Schüler, war seinerzeit aber durchaus ein schmerzhafter Prozess. Feuchtwanger bereitete das Konzertieren vielfach solche Qualen, dass er schon im Alter von 20 Jahren beschloss, nicht mehr aufzutreten.

Seine Fähigkeit, spielen zu können, wenn er ein Stück vom Hören kannte, führte dazu, dass es sich schnell herumsprach, dass Feuchtwanger gut gebraucht werden konnte, wenn es darum ging, schnell jemanden zum Einspringen zu finden. Dies wurde dann oft von Konzertveranstaltern ausgenutzt — und führte in Verbindung mit der Scheu, von Fall zu Fall "nein" sagen zu können, schließlich dazu, dass Feuchtwanger überhaupt nicht mehr auftrat.

Die folgende Anekdote eines Konzerterlebnisses erzählt er aus der heutigen Distanz amüsiert; den damals auf ihm lastenden Druck kann man sich aber lebhaft vorstellen: "Ich kam in das Künstlerzimmer und hatte mich auf die Beethoven-Sonate Opus 109 vorbereitet. Als ich in das Programm schaute, stand da aber Opus 101. Ich wies die Dame, die den Agenten vertrat, auf den Druckfehler hin. Als sie daraufhin telefonierte, hörte ich den Agenten schon am anderen Ende der Leitung schreien. Er sagte zu mir: 'Wenn du die 101 nicht spielst, dann werde ich dich nie wieder engagieren! Fischer hat Opus 109 vor ein paar Tagen gespielt, nächste Woche spielt sie Backhaus, wir können nicht noch eine 109 anbieten.' Dem wagte ich nicht zu widersprechen und musste deshalb Opus 101 im Konzert bringen, obwohl ich sie nie vorher gespielt hatte. Ich kannte sie allerdings sehr gut von Schallplatten. Natürlich war ich furchtbar nervös, aber trotzdem lief alles tadellos bis ungefähr 3 oder 4 Seiten vor dem Ende. Plötzlich hatte ich keine Ahnung mehr, welche Tonart. Der Schweiß ist mir ausgebrochen, ich improvisierte wohl zehn Minuten lang die Fuge. Ich wusste überhaupt nicht, was ich gemacht habe, aber irgendwann kam ich auf die letzte Seite und fand den Schluss. Der Kritiker hat das übrigens nicht gemerkt. Er schrieb, das Beste im Konzert sei diese Sonate gewesen."

Nach solchen oder ähnlichen Situationen fühlte sich Feuchtwanger des öfteren wie ein Scharlatan - auch ein Grund dafür, dass er vor seinen eigenen Ansprüchen in die Defensive geriet: "Ich habe dann beschlossen, das darf man nicht machen, man kann nicht ein Meisterwerk von Beethoven einfach so spielen, ohne daran gearbeitet zu haben." Heute kann sich Peter Feuchtwanger vorstellen, dass dies vielleicht übertriebene Bescheidenheit war. In den 50-er Jahren war sein Selbstvertrauen aber noch nicht gut genug ausgeprägt, um sich dem auf ihm lastenden Druck zu widersetzen. Die Folge war sein vollständiger Rückzug vom Konzertpodium.

Feuchtwanger gewann dadurch mehr Zeit, um sich seinen anderen Interessen, Psychologie, Malerei und außereuropäischer Musik, zu widmen. Östliche Musik hat für Feuchtwanger einen ganz besonderen Stellenwert. Arabische und indische Musik sind ihm sehr vertraut. Als er in den 50-er Jahren Israel verließ, um wieder nach Europa zurückzukehren, vermisste er die arabische Musik, die im Nahen Osten wie selbstverständlich seine Umgebung bildete, da er als Kind engen Kontakt zu arabischen Familien hatte: "Ich habe dann angefangen zu komponieren, meine erste Komposition in östlichem Stil. Und dann habe ich plötzlich indische Musik gehört, und sie erschien mir ganz verwandt, obwohl ich nie vorher indische Musik gehört hatte. Fast als ob ich das schon in einem früheren Leben kannte." Mit seinen Variationen über ein östliches Volkslied gewann er 1959 den ersten Preis beim Internationalen Viotti-Kompositionswettbewerb. In den 60-er Jahren stellte er eine Raga und andere Stücke in östlichem Idiom an einer Londoner Universität vor, wo ein indischer Dozent so angetan war, dass Feuchtwanger ein Stipendium erhielt und indische Musik, Sitar und Tabla studieren konnte. Bis heute ist sein Kompositionsstil stark von östlicher Musik beeinflusst.

Als Yehudi Menuhin eine Komposition Feuchtwangers hörte, war er so begeistert, dass er ihm den Auftrag erteilte, für das Bath-Festival 1966 eine Raga zu schreiben. Diese wurde von Menuhin und Ravi Shankar uraufgeführt und diente als Grundlage für die weltweit erfolgreiche Schallplatte "East meets West".

Inzwischen nimmt das Unterrichten allerdings so viel Zeit in Anspruch, dass Feuchtwanger kaum noch Zeit zum Komponieren findet. Wenn er nicht gerade zu Hause in London ist und Privatstunden gibt, ist er als Juror bei Wettbewerben unterwegs, oder er gibt einen seiner vielen Meisterkurse in Europa oder den USA. Eine aktuelle Aufstellung seiner Kurse findet man ständig im Internet auf der Seite www.peter-feuchtwanger.de. Außerdem hat sich Feuchtwanger gerade entschlossen, ausnahmsweise eine Vertretungsprofessur an einer Hochschule, am Mozarteum in Salzburg, anzunehmen. Er betont aber, dass er das nur macht, weil er den Professor, den er vertritt, sehr verehrt, und in diesem Fall sicher sein kann, mit seiner Art des Arbeitens willkommen zu sein.

Seine Schüler sehen in Peter Feuchtwanger eine der seltenen Persönlichkeiten, bei der Geist und Körper im Einklang stehen. Entsprechend dient ihnen auch der Mensch Peter Feuchtwanger als Vorbild. Ist dies der Grund, weshalb er gelegentlich als Zen-Meister des Klavierspiels bezeichnet wird? Immerhin empfiehlt er seinen Schülern, das Buch "Zen in der Kunst des Bogenschießens" zu lesen.

Ein Gleichnis aus dem Repertoire Feuchtwangers schafft schließlich einen Eindruck von seiner ganzheitlichen und von östlicher Philosophie beeinflussten Einstellung zu Kunst und Leben:
Ein Knabe reiste durch Japan zu der Schule eines berühmten Meisters der Kriegskunst. As er im Dojo ankam, wurde ihm eine Audienz vom Sensei gewährt. "Was wünschen sie von mir?" fragte der Meister. "Ich möchte Ihr Schüler sein und der beste Karateka des Landes werden", antwortete der Knabe. "Wie lange muß ich lernen?" "Mindestens zehn Jahre", antwortete der Meister. "Zehn Jahre ist eine lange Zeit", sagte der Knabe. "Was wäre, wenn ich doppelt so fleißig lerne wie all Ihre anderen Schüler?" "Zwanzig Jahre", antwortete der Meister. "Zwanzig Jahre! Und wenn ich mich Tag und Nacht mit all meinen Kräften bemühen würde?" "Dreißig Jahre", lautete die Antwort des Meisters. "Woher kommt es, daß jedesmal wenn ich sage, daß ich mich sehr bemühe, sie mir sagen, ich werde mehr Zeit brauchen?" frage der Knabe. "Die Antwort ist klar. Wenn ein Auge aufs Ziel schaut, dann bleibt nur noch ein Auge übrig, den Weg zu finden."

Erschienen in PianoNews 02/2003.
Eine Adaption dieses Artikels auf Englisch erschien in Clavier April 2006.
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