Basistechnik



Stefan Blido: Peter Feuchtwangers Klavierübungen, eine pianistische Basistechnik

In dem Sinne wie man die Alexandertechnik oder die Feldenkrais-Methode als eine Basistechnik für Musiker versteht, kann man Peter Feuchtwangers Klavierübungen als eine spezifische pianistische Basistechnik bezeichnen. Mit kompromissloser Konsequenz vermittelt Peter Feuchtwanger durch seine Klavierübungen die Basis eines natürlichen Bewegungsverhaltens am Klavier. Hier hat er die Grundlagen einer natürlichen Klaviertechnik formuliert. Als pianistisches Handwerkszeug stehen die Klavierübungen vor allen weiteren Klavierübungen und Etüden (Hanon etc.) und unterscheiden sich in diesem Punkt grundsätzlich von ihnen.
Die Essenz der Klavierübungen, ihr Geist, begleitet mich tagtäglich bei meiner Arbeit als Klavierlehrer mit Kindern ab dem fünften Lebensjahr. Für eine gelingende pianistische Schulung von der ersten Stunde an, haben mir die Klavierübungen basale Einsichten vermittelt.
Körperliche Aufrichtung im Sinne der Klavierübungen sollte für jeden Pianisten eine conditio sine qua non sein, denn eine schlechte Aufrichtung wirkt hemmend auf die Spielbewegungen. Hier kann Unterricht in Alexandertechnik, Feldenkrais-Methode, Eutonie, Ideokinese oder Dispokinesis ergänzend helfen. Aus diesem Grund sucht Peter Feuchtwanger immer wieder auf Meisterkursen die Zusammenarbeit mit Vertretern dieser Lehren. Als eine klavierspezifische Körpertechnik gehen die Klavierübungen allerdings über diese allgemeinen körpertechnischen Lehren hinaus und sind durch nichts zu ersetzen.
Basierend auf seiner eigenen Erfahrung von absoluter Mühelosigkeit und Leichtigkeit im Klavierspiel entwickelte Peter Feuchtwanger seine Klavierübungen, die zu einem ganzheitlichen Gebrauch des pianistischen Spielkörpers und zu einer freien, leichten und ökonomischen Instrumentaltechnik führen.
Doch auch im Retraining bei Pianisten mit Spielstörungen (Fokale Dystonie, Sehnenscheidenentzündung etc.) hat Peter Feuchtwanger seine Klavierübungen mit Erfolg eingesetzt. Hier kommt ihr Heilungsaspekt zum Tragen. Verspannungen, Schmerzen und Fehlfunktionen des Gehirns entstehen oft aus einer einseitigen Benutzung einzelner Körperteile. Ohne zu wissen, was wir tun, schränken wir uns in unseren Möglichkeiten ein. Wir sind in unseren Bewegungsgewohnheiten „gefangen“. Medizinische Betreuung erweist sich in diesem Fall langfristig als unzureichend, weil die Probleme nicht an der Wurzel gepackt werden und dauerhafte Veränderungen nicht erreicht werden. Die Ursache für die Verfestigung von Körperstrukturen liegt nicht an der Starrheit des Knochenbaus, sondern in der Eingefahrenheit und Beschränktheit des Zusammenspiels von Muskulatur und Nervensystem. Diese Verbindung ist grundsätzlich offen und beeinflussbar und genau da setzen die Klavierübungen an. Jeder Pianist kann durch alternative Bewegungserfahrungen sein Nervensystem neu organisieren und seine Bewegungen neu strukturieren, um dadurch zu größerer Leichtigkeit und Virtuosität zu gelangen und sich von Spielstörungen befreien.
Spielerische, einfache Bewegungen am Klavier fördern die Eigenwahrnehmung, fördern das Erkennen von Haltungs- und Bewegungsgewohnheiten, erweitern das Bewegungsspektrum am Klavier und ermöglichen Freiheit der Bewegungswahl bei gleichzeitiger Verfeinerung des kinästhetischen Empfindens (Kinästhetik - Kombination der beiden griechischen Wörter „kinesis“, Bewegung und „aesthesie“, Wahrnehmung). Ziel ist es, den pianistischen Spielkörper „so zu organisieren, dass er sich mit einem Minimum an Anstrengung und einem Maximum an Effizienz bewegt, nicht durch Muskelstärke, sondern durch erhöhte Bewusstheit darüber, wie er funktioniert.“ (Feldenkrais)
Die Klavierübungen machen bislang fest gefügte Haltungs- und Bewegungsmuster bewußt und ändern diese. Ihr Ziel ist die Beseitigung von Hemmungen und die Gewinnung von Freiheit und Herrschaft. Ausschaltung aller parasitären Bewegungen (artificial motor-patterns) und Reduktion aller Anstrengung auf das absolut nötige, „le strict necessaire“ wie Heinrich Neuhaus sagte. Unter der Anleitung eines Lehrers kann jeder Pianist auf jedem Niveau einen gewohnheitsmäßigen fehlerhaften pianistischen Selbstgebrauch erkennen und ihn mit Hilfe der Klavierübungen durch neue funktionale Bewegungsgewohnheiten ersetzen und damit seine gesamte Technik verbessern. Die Initiative geht immer von den Fingern aus. Die kinetische Kette beginnt in den Fingern, die rückverbunden sind mit der Körpermitte (Hara) unter Wahrung der Freiheit im Schulterbereich. Feinmotorik wird geschult immer in Bezug auf die grobe Motorik (Schulter und Oberarme). Weil Peter Feuchtwanger den Körper und die Psyche des Pianisten als funktionale Ganzheit begreift, sind für ihn geistige, seelische und körperliche Prozesse untrennbar miteinander verbunden. In diesem Sinne gilt auch für einen durch die Klavierübungen geschulten Pianisten: Beweglicher werden heißt auch lebendiger werden – körperlich, seelisch und geistig. Damit ist Kreativität und die Freisetzung von kreativen Prozessen ein wesentliches Element der Klavierübungen. Mit der Lösung körperlicher Fixierungen lösen sich auch seelische und geistige Fixierungen, somatopsychische Lernprozesse kommen in Gang. Zielfixiertheit wird aufgehoben zugunsten eines achtsamen Vorgehens, welches die Aufmerksamkeit auf die Mittel lenkt. Die Spielfreude wird angeregt und bestenfalls wird man eins mit dem, was man tut („Flow“). Der Kontakt zum Klavier wird verbessert und das fließende, anstrengungslose Spiel schenkt Freude am eigenen Tun.